Arbeitsmarktpolitik

Arbeitsmarktpolitik
von Privatdozent Dr. Fred Henneberger und Professor Dr. Berndt Keller
I. Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen
Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StWG)) von 1967 ordnete die Beschäftigungspolitik in die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts („magisches Viereck“) ein. Das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 nahm das quantitative Ziel der Erhaltung der Vollbeschäftigung auf und verband es mit dem qualitativen Ziel der Verbesserung der Beschäftigungsstruktur. Nach zahlreichen Novellierungen sowie der Anpassung zum Arbeitsförderungsreformgesetz (AFRG) erfolgte 1998 die Ablösung durch das Sozialgesetzbuch III (SGB III). Das AFG leitete eine Schwerpunktverlagerung von der reaktiv-kompensatorischen zur aktiv-präventiven Arbeitsmarktpolitik ein und rückte das Ziel der Stabilisierung „eines hohen Beschäftigungsstandes“ in den Mittelpunkt. Demgegenüber findet im SGB III eine deutliche Schwerpunktverschiebung statt, die in stärkerem Maße als im AFG auf neoklassischem Gedankengut ( Neoklassik) beruht:
„Die Leistungen der Arbeitsförderung sollen v.a. (1) den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unterstützen, (2) die zügige Besetzung offener Stellen ermöglichen, (3) die individuelle Beschäftigungsfähigkeit durch Erhalt und Ausbau von Kenntnissen, Fertigkeiten sowie Fähigkeiten fördern, (4) unterwertiger Beschäftigung entgegenwirken und (5) zu einer Weiterentwicklung der regionalen Beschäftigungs- und Infrastruktur beitragen“ (§ 1 II SGB III).
Im Kontext dieser Akzentverschiebung erfolgte auch eine Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung. Die eingeleitete deutliche Dezentralisierung der Entscheidungsprozesse auf die kommunale Ebene verfolgt das Ziel einer größeren Nähe zu Arbeitssuchenden und Betrieben. Die Kompetenzerweiterung der Arbeitsämter im Rahmen des Konzepts „Arbeitsamt 2000“ führt u.a. zu einer Zuerkennung der Budgethoheit, zur Ermöglichung der „freien Förderung“ nach lokalen Gegebenheiten (§ 10 SGB III) sowie zur teilweisen Ablösung des kameralistischen Haushaltsprinzips (z.B. § 71b SGB IV).
2002 traten zwei Novellierungen des SGB III mit dem Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) sowie dem Gesetz zur Reform der Arbeitsverwaltung und Arbeitsvermittlung in Kraft. Weitere Neuerungen leiteten ab 2003 das Erste und Zweite, ab 2004 das Dritte und Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ein, die auf den Vorschlägen der Hartz-Kommission basieren. Weiter gestärkt werden sollen die Funktionsbedingungen der Arbeitsmärkte im Sinn neoklassischer Arbeitsmarkttheorien sowie die Reintegration der Arbeitslosen in den regulären (ersten) Arbeitsmarkt. Insgesamt erfolgt ein Paradigmenwechsel von der „aktiven zur aktivierenden“ Arbeitsmarktpolitik.
II. Begriffliche Abgrenzungen
Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarktpolitik: Von grundlegender Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen Beschäftigungspolitik, die im Sinn einer Totalanalyse primär makroökonomisch ausgerichtet ist, und Arbeitsmarktpolitik, die im Sinn einer Partialanalyse eher mikroökonomisch angelegt ist. Erstere zielt v.a. auf einen Policy-Mix mit einer Verzahnung von allgemeiner Wirtschafts-, Geld-, Finanz- sowie Lohnpolitik; letztere versucht, den Unvollkommenheiten von Arbeitsmärkten (u.a. mangelnde Transparenz, eingeschränkte Mobilität der Arbeitnehmer, Existenz von Institutionen und Transaktionskosten) zu entgegnen sowie die Folgen von Strukturwandel für die Betroffenen zu mildern. Weiterhin ist zu unterscheiden zwischen reiner Ordnungspolitik, welche die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für den Ausgleich von Arbeitsangebot und -nachfrage über die Arbeitsmarktverfassung vorgibt, und Prozesspolitik, die durch Anreizsetzung für die Akteure gezielt in deren Handeln eingreift.
Schließlich ist zwischen passiv-verwaltender und aktiv-gestaltender Arbeitsmarktpolitik zu differenzieren. Im Sinn einer Hierarchisierung der Ziele kodifiziert das SGB III in § 4 explizit den Vorrang der Arbeitsvermittlung und Beratung vor sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sowie v.a. vor Entgeltersatzleistungen. Passiv-verwaltende A. umfasst die materielle Existenzsicherung bei Unterbeschäftigung durch die Zahlung von Lohnersatz (Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Wintergeld und Winterausfallgeld, Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld). Aktiv-gestaltende Arbeitsmarktpolitik zielt ab auf die Beeinflussung von Ausmaß und Struktur von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, indem die Reintegration in den Erwerbsprozess als prioritär angesehen wird. Hierzu zählen in erster Linie Beratung und Vermittlung sowie Leistungen an Arbeitnehmer, an Arbeitgeber sowie an verschiedene Träger; die berufliche Eingliederung benachteiligter Arbeitnehmergruppen (v.a. Langzeitarbeitslose (länger als ein Jahr arbeitslos), schwer Vermittelbare) steht bei der institutionellen Förderung im Mittelpunkt. Der Quotient aus den Ausgaben für aktive Maßnahmen und den Gesamtausgaben für Arbeitsmarktpolitik gibt die so genannte Aktivitätsrate an.
III. Ziele und Träger
Arbeitsmarktpolitik verfolgt sowohl quantitative (Niveau-) als auch qualitative (Struktur-)Ziele. In quantitativer Hinsicht steht die Steigerung des Verhältnisses zwischen der Zahl der Erwerbstätigen und dem potenziellen Arbeitsangebot aller Erwerbsfähigen im Vordergrund; dieses Erwerbspersonenpotenzial umfasst neben den aktuell Beschäftigten die registrierten Arbeitslosen, alle Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sowie die stille Reserve. In qualitativer Hinsicht soll die Beschäftigungsstruktur beeinflusst, d.h. ein regional, qualifikatorisch sowie in Bezug auf die Arbeitszeitvorstellungen verbessertes Matching zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage angestrebt werden.
Die Träger der Arbeitsmarktpolitik sind seit langem auf den drei funktionalen Ebenen angesiedelt: Die  Bundesagentur für Arbeit (BA), bis 31.12.2003: Bundesanstalt für Arbeit, die Regionaldirektionen und die Agenturen für Arbeit, bis 31.12.2003: Landesarbeitsämter bzw. Arbeitsämter. Die Selbstverwaltung der BA findet traditionell im Rahmen tripartistisch zusammengesetzter Gremien statt (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Gebietskörperschaften). Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Arbeitsverwaltung und Arbeitsvermittlung im Jahr 2002 verfügt die BA über einen neu eingerichteten dreiköpfigen Vorstand als Leitungs- sowie einen tripartistisch besetzten Verwaltungsrat als Kontrollorgan. Die BA wird zu einem kundenorientierten Dienstleister umgebaut.
Seit 2003 werden im Zuge der Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission die bisherigen zehn Landesarbeitsämter schrittweise umfunktioniert zu „Kompetenzzentren für neue Arbeitsplätze und Beschäftigungsentwicklung“ und damit die regionale Dimension der Arbeitsmarktpolitik aufgewertet. Die bisherigen Arbeitsämter werden zu  Job Center umgestaltet, die als erste Anlauf- und Weiterleitungsstelle für Arbeitssuchende und Unternehmen dienen und arbeitsmarktrelevante Leistungen künftig ganzheitlich anbieten. Dadurch erfolgt eine Verlagerung von Zuständigkeiten von den Sozialämtern auf die Job Center („One Stop Shop“); die bislang getrennten, nach Prinzipien von Versicherung, vom Bund finanzierten, bzw. Fürsorge, von den Kommunen finanzierten, Leistungsarten Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden zum Arbeitslosengeld II zusammengeführt (Reformagenda 2010).
Insgesamt wird das Leitbild der „passivierenden“ Transferpolitik endgültig durch das der „aktivierenden“ Sozialpolitik abgelöst. Eine engere Verknüpfung von staatlichen Leistungen und erwarteten individuellen Gegenleistungen folgt dem neuen Prinzip des „Förderns und Forderns“, betont damit in stärkerem Maße die Eigenverantwortung der Arbeitnehmer und impliziert eine Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien. Die Anleihen bei der neoliberalen Angebotspolitik zeigen sich ebenso bei der Diskussion um das Lohnabstandsgebot, d.h. der notwendigen Differenz zwischen Tariflohn und Entgeltersatzleistung.
IV. Instrumente und ihre theoretische Begründung
Die passive Arbeitsmarktpolitik besteht aus Entgeltersatzleistungen, deren Höhe und Dauer umstritten sind. Im Sinn der Suchtheorie ( Arbeitsmarkttheorien) erhöht die Arbeitslosenunterstützung den Reservationslohn und kann die Suchdauer verlängern. Im Sinn der Effizienzlohntheorien (Arbeitsmarkttheorien) steigert sie zwar die Fluktuation, trägt aber auch zur Förderung des Strukturwandels sowie zur Verbesserung der Ressourcenallokation bei; damit kann die Nachhaltigkeit von Matching-Prozessen erhöht werden.
Die aktive Arbeitsmarktpolitik umfasst gemäß der Programmatik des SGB III zunächst die Beratung und Vermittlung. Nach dem Übergang vom Monopol- zum Koexistenzsystem der Arbeitsvermittlung seit Mitte der 90er Jahre können diese Leistungen sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatwirtschaftlich erbracht werden. Diese Instrumente haben ihre Grundlage v.a. in der Suchtheorie (Arbeitsmarkttheorien). Eine höherer Grad an Markttransparenz verspricht eine verringerte Suchdauer und eine verbesserte Allokationseffizienz.
Des Weiteren differenziert das SGB III die Instrumente nach den Akteuren (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Träger):
Die Leistungen an Arbeitnehmer umfassen die Verbesserung der Eingliederungsaussichten, die Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung, einer selbstständigen Tätigkeit, der Berufsausbildung und beruflichen Weiterbildung sowie die Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Die Verbesserung der Eingliederungsaussichten über Maßnahmen der Eignungsfeststellung und Trainingsmaßnahmen wie auch die Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung über Mobilitätshilfen lässt sich mithilfe der Suchtheorie begründen; letztere dienen v.a. der Beseitigung des regionalen Mismatch ( Beveridge-Kurve). Die Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung zielen auf den Auf- und Ausbau des Humankapitals bzw. die Verhinderung seiner Entwertung infolge von Arbeitslosigkeit. Damit werden Elemente der  Humankapitaltheorien ( Arbeitsmarkttheorien) aufgenommen. Die Förderung für Existenzgründer stärkt Outsider, indem sie ihnen einen Zutritt zum ersten Arbeitsmarkt ermöglicht, so dass Kalküle der Insider-Outsider-Theorien zur Anwendung kommen. Außerdem kann die Unterstützung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit sowohl im Sinn einer Verbesserung des Humankapitals als auch der Beseitigung eines qualifikatorischen Mismatch im Sinn der Suchtheorie wirken.
Die Leistungen an Arbeitgeber umfassen die Eingliederung von Arbeitnehmern, die Förderung der beruflichen Ausbildung sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Eingliederungszuschüsse bzw. Lohnsubventionen sollen Produktivitätsnachteile bestimmter Arbeitnehmergruppen kompensieren (v.a. Ältere, Langzeitarbeitslose, behinderte Menschen); dabei kommen Grundgedanken des neoklassischen Basismodells (Arbeitsmarkttheorien) sowie der Insider-Outsider-Theorien zum Tragen. Die Förderung von Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung von Arbeitnehmern findet ihre Begründung wiederum in den Humankapitaltheorien.
Die Leistungen an institutionelle Träger umfassen die Förderung von Einrichtungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung oder der beruflichen Rehabilitation, Zuschüsse zu Sozialplanmaßnahmen, die Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Strukturanpassungs- (SAM) und Infrastrukturmaßnahmen. Die institutionelle Förderung der Aus- und Weiterbildung hat erneut eine humankapitaltheoretische Basis. Die Zuschüsse zu Sozialplanmaßnahmen bei Arbeitnehmern, die aufgrund von geplanten Betriebsänderungen von Arbeitslosigkeit bedroht sind, setzen an den Insider-Outsider-Theorien an; dadurch werden die bereits Beschäftigten (Insider) geschützt. Demgegenüber hat die Förderung von ABM und SAM deutlichen Bezug zur  Beschäftigungstheorie von Keynes. Im Gegensatz zur stärkeren Angebotsorientierung der bisher genannten Instrumente steht hier die Nachfrageorientierung im Sinn der Schaffung zusätzlicher, wenngleich nur temporärer Beschäftigungsmöglichkeiten im Vordergrund.
V. Finanzierung und Ausgabenschwerpunkte
Die Finanzierung der passiven wie aktiven Arbeitsmarktpolitik erfolgt überwiegend und zu gleichen Anteilen aus Pflichtbeiträgen der Beschäftigten und Arbeitgeber; einzelne Instrumente werden zusätzlich durch Umlagen der Arbeitgeber finanziert (Winterbau und Insolvenzgeld). Außerdem besteht seitens des Bundes die Verpflichtung einer Defizitübernahme, welche aus allgemeinen Steuermitteln bestritten wird (§ 365 SGB III). Eine Rücklage in nennenswerter Höhe existiert nicht.
Die passive Arbeitsmarktpolitik folgt unterschiedlichen Organisationsprinzipien und hat mehrere Finanzierungsquellen. Die Zahlung von Arbeitslosengeld, dem größtem Bestandteil der Entgeltersatzleistungen, richtet sich nach dem Versicherungsprinzip. Sie ist in Höhe und Dauer abhängig von den individuellen Beiträgen, die während der vorherigen Erwerbstätigkeit geleistet wurden sowie der Erfüllung bestimmter Anwartschaftszeiten. Demgegenüber richtet sich die Arbeitslosenhilfe nach dem Bedürftigkeitsprinzip; sie wird vom Bund und somit aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert.
Die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung nahmen seit Mitte der 70er Jahre von rund 2 Prozent im Trend auf deutlich über 6 Prozent zu, weil die Ausgaben infolge der zunehmenden Arbeitslosigkeit erheblich anstiegen. Hinzu kommt die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen, wie sie seit den 80er Jahren v.a. durch umfangreiche Maßnahmen der Frühverrentung ausgelöst wurden. Die Ausgabenentwicklung wurde zusätzlich durch den Sondereinfluss der deutschen Wiedervereinigung verstärkt. Der Beschäftigungseinbruch in den neuen Bundesländern führte zu einem massiven Einsatz sämtlicher Instrumente der Arbeitsmarktpolitik. Die Gesamtausgaben für die Arbeitsmarktpolitik haben sich allein in den 90er Jahren (von rund 22 auf knapp 52 Mrd. Euro) deutlich mehr als verdoppelt und beliefen sich Ende dieses Jahrzehnts auf ca. 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), die Ausgaben für aktive Maßnahmen auf 1,3 Prozent. Die standardisierte Arbeitslosenquote lag in der zweiten Hälfte der 90er Jahre bei ca. 9 Prozent mit einem erheblichen, in Folge der Transformationskrise andauernden Gefälle zwischen den neuen und den alten Bundesländern.
Bei im Trend steigender Arbeitslosigkeit nehmen c.p. die Ausgaben für Entgeltersatzleistungen zu (Muss-Leistungen), während die Einnahmen zurück gehen. Daher lag die Aktivitätsrate, die langfristig gesunken ist, über die gesamten 90er Jahre hinweg nur zwischen 30 und knapp 40 Prozent. Weil auch die aktive Arbeitsmarktpolitik (Kann-Leistungen) primär aus den Beiträgen der Versicherten finanziert wird, sinkt der Spielraum für aktive Maßnahmen, der bei hoher Arbeitslosigkeit eigentlich notwendig wäre.
Bei der Verteilung der Ausgaben ergeben sich faktisch deutliche Schwerpunkte. Insgesamt dominieren die Ausgaben für passive Arbeitsmarktpolitik, wobei für Arbeitslosengeld fast die Hälfte der Gesamtausgaben aufgewendet wird. Bei den Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik, deren Verteilung auf die Maßnahmen relativ breit streut, lautet die Rangfolge: Unterhaltsgeld im Fall der Teilnahme an einer Vollzeitmaßnahme zur beruflichen Weiterbildung, Maßnahmekosten zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten, allgemeine  Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM),  berufliche Rehabilitation,  Eingliederungszuschüsse.
Infolge der hohen Konjunkturreagibilität, die durch die in aller Regel prozyklische „Stop-and-Go-Politik“ noch verstärkt wird, werden seit langem Alternativen der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik diskutiert:
– Eine Ausweitung auf weitere, bisher beitragsfreie Gruppen (v.a. Beamte und Selbstständige) würde zwar die Einnahmebasis verbreitern, allerdings auch neue Ansprüche dieser Gruppen begründen. Der Nettoeffekt für die Finanzierung wäre a priori nicht eindeutig zu bestimmen.
– Die Einführung einer antizyklischen Arbeitsmarktpolitik würde auf eine Stabilisierung der Beschäftigungsentwicklung im Konjunkturverlauf zielen: In konjunkturellen Abschwungphasen würden die Beitragssätze sinken und gleichzeitig die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik steigen; in konjunkturellen Aufschwungphasen hingegen würde eine Erhöhung der Beitragssätze bei gleichzeitiger Rückführung der Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik erfolgen.
– Ein regelgebundener, d.h. an vorher festgelegte Parameter (z.B. die Arbeitslosenzahl) gekoppelter Zuschuss des Bundes würde zwar die starke konjunkturelle Abhängigkeit der Finanzierung von aktiver Arbeitsmarktpolitik reduzieren, würde aber die Probleme nur von der Arbeitsmarkt- auf die Finanzpolitik verlagern.
VI. Evaluation aktiver Arbeitsmarktpolitik
Die Evaluation der Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik ist notwendig, um gerade in Zeiten finanzieller Restriktionen einen möglichst wirkungsvollen und nachhaltigen Einsatz knapper Ressourcen zu gewährleisten. Effizienz zielt dabei auf eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Mitteleinsatz und Grad der Zielerreichung. Effektivität hingegen misst die Wirksamkeit, deren Erfolgskriterien sein können: (Wieder-)Beschäftigung, Stabilität bzw. Dauer von Beschäftigungsverhältnissen, Einkommen nach der Teilnahme an einer Maßnahme. Zu unterscheiden sind die direkten Effekte auf die Teilnehmer von den indirekten Effekten auf die Nicht-Teilnehmer sowie die gesamte Volkswirtschaft.
Traditionell erfolgt die Beurteilung der direkten Effekte einzelner aktiver Maßnahmen nach dem jeweiligen Erfolgskriterium ausschließlich bei den Teilnehmern. Ausgewiesen werden u.a.:
– Entlastungswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Sinn vermiedener registrierter Arbeitslosigkeit, gemessen als Anzahl der Teilnehmer an aktiven Maßnahmen.
– Vermittlungsquoten als Anteil der Vermittlungen seitens der Arbeitsämter an allen Vermittlungen oder an allen Neubesetzungen von Stellen.
– Verbleibsquoten als Anteil der Teilnehmer, an allen Teilnehmern, die zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. sechs Monate) nach Abschluss der Maßnahme nicht mehr arbeitslos gemeldet sind; hierbei ist ihr neuer Status irrelevant.
– Eingliederungsquoten als Anteil der Teilnehmer, die eine bestimmte Zeit nach Maßnahmenende auch tatsächlich wieder beschäftigt sind.
Das SGB III führt in § 11 als Novum die Erstellung von Eingliederungsbilanzen der einzelnen Arbeitsämter ein. Die Weiterentwicklung zu einem Benchmarking-Instrument ( Benchmarking) soll die Vergleichbarkeit des Leistungskatalogs der Arbeitsämter durch die Berechnung u.a. von Verbleibs- und Eingliederungsquoten verbessern.
Sämtliche Indikatoren lassen jedoch keine Aussage zu über die kausale Wirksamkeit der jeweiligen Maßnahme, da Erfolg auch bei Nicht-Teilnahme zustande kommen kann. Neuere mikroökonometrische Evaluationsstudien versuchen dieses Problem der Selektionsverzerrung deshalb durch die Einführung einer Kontrollgruppe zu lösen (Simulation einer kontrafaktischen Situation). Die Personen in der Kontrollgruppe sind im Idealfall in allen beobachtbaren und nicht beobachtbaren Charakteristika mit den Personen in der Gruppe der Teilnehmenden identisch. Das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen Experimental- und Kontrollgruppe ist somit die Teilnahme.
Die Evaluationsforschung muss neben diesen direkten auch die indirekten Effekte auf andere Wirtschaftssubjekte berücksichtigen, da sie den Nettobeschäftigungseffekt im Aggregat beeinträchtigen. Zu den indirekten, von der Arbeitsverwaltung nicht intendierten Folgen aktiver A. gehören:
Mitnahmeeffekte, d.h. das Arbeitsmarktergebnis wäre auch ohne Durchführung der Maßnahme (z.B. Lohnsubventionen, Eingliederungszuschüsse) eingetreten. In der Konsequenz heißt dies, dass private Arbeitsnachfrage finanziell unterstützt, jedoch nicht erhöht wird.
Substitutionseffekte, d.h. durch die Veränderung der Lohnrelationen (z.B. durch Eingliederungszuschüsse, Weiterbildungsmaßnahmen) geht die Arbeitsnachfrage nach anderen, nicht geförderten Arbeitskräften zurück. Im Nettoeffekt bleibt die Beschäftigungshöhe konstant. Es findet lediglich eine Umverteilung des Arbeitslosigkeitsrisikos bzw. der Arbeitsmarktchancen statt.
Verdrängungseffekte, d.h. Teilnehmer an Maßnahmen (z.B. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Strukturanpassungsmaßnahmen) besetzen (reguläre) Arbeitsplätze, die ansonsten Nicht-Teilnehmer eingenommen hätten; Nettoeffekte für die Beschäftigungshöhe treten jedoch nicht auf. Sie können längerfristig sogar negativ sein, weil geförderte Unternehmen ihre Produkte aufgrund der niedrigeren Lohnkosten günstiger anbieten können. Dadurch können private Investitionen oder Unternehmensgründungen verhindert werden.
Steuereffekte, d.h. die Maßnahmen bewirken durch Beeinflussung der Abgabenbelastung Verhaltensänderungen bei allen Wirtschaftssubjekten. Wenn der expansive Impuls der Maßnahme auf die reguläre Beschäftigung geringer (stärker) ausfällt als die damit implizierte Arbeitskostensteigerung verringert (verbreitert) sich die Steuerbasis.
Die bisherigen Ergebnisse der Evaluationsstudien sind keinesfalls einheitlich hinsichtlich der Wirkungen aktiver A., geben allerdings Anlass zu einer skeptischen Beurteilung. Insgesamt zeigt sich, dass die Niveaueffekte im Sinn eines Abbaus von Arbeitslosigkeit bzw. der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze gering sind. Für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Strukturanpassungsmaßnahmen sowie Fortbildung und Umschulung (berufliche Weiterbildung) können keine erhöhten Chancen der Wiederbeschäftigung ermittelt werden. Dies mag daran liegen, dass eine höhere „Passgenauigkeit“ im Sinn einer besseren Zielgruppenorientierung sowie Betriebsnähe einzelner Maßnahmen notwendig wäre. Das Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit (§ 57 SGB III) und die gemeinnützige Arbeitnehmerüberlassung können Instrumente darstellen, welche die Brückenfunktion der aktiven Arbeitsmarktpolitik erfüllen und damit die Reintegration Arbeitsloser in den Erwerbsprozess verbessern. In methodischer Hinsicht ist anzumerken, dass bisher nur bestimmte Instrumente, kurze Zeiträume sowie reine Arbeitsmarkteffekte untersucht wurden.
Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass in Zukunft internationale Vergleiche der Effizienz und Effektivität der Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik eine wichtigere Rolle als bisher spielen werden.
Literatur: Blien, U./ Walwei, U./ Werner, H., Labour Market Policy in Germany, IAB Labour Market Research Topics No. 49, Nürnberg 2002; Eichhorst, W./ Profit, S./ Thode, E., Benchmarking Deutschland: Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Berlin, Heidelberg 2001; Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Schwerpunktheft „Evaluation aktiver Arbeitsmarktpolitik – Probleme und Perspektiven“, 33. Jg., Heft 3/2000; Schmid, G./ O'Reilly, J./ Schömann, K. (Hrsg.), International Handbook of Labour Market Policy and Evaluation, Cheltenham 1996; Zerche, J./ Schönig, W./ Klingenberger, D., Arbeitsmarktpolitik und -theorie. Lehrbuch zu empirischen, institutionellen und theoretischen Grundfragen der Arbeitsökonomik, München, Wien 2000. Literatursuche zu "Arbeitsmarktpolitik" auf www.gabler.de

Lexikon der Economics. 2013.

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